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Erinnerungen an Dorothea Killert

Kurze Anmerkung vorab: Diese Seite, sowie sämtliche anderen Seiten bzgl. Ahnenforschung, werden in Kürze auf einer eigenen Seite verfügbar sein. Viele hier in diesem Artikel erwähnte Themen, wie z.B. die Flucht aus Ostpreussen, werden dort sehr ausführlich behandelt. Weitere Infos dazu in den kommenden Wochen.


Dorothea Killert (geb. Lörzer), 14.07.1936 - 15.08.2025

Am 15.08.2025 ist meine Mutter im Pflegeheim "Josef-Lascheid-Haus" in Troisdorf-Spich verstorben. Sie hat dort seit April 2021 gelebt.

2012 war mein Vater verstorben und das Wohnen alleine in der Wohnung klappte dann mit der Zeit immer schlechter. Mobiler Pflegedienst, Essen auf Rädern etc. - das alles hat nicht richtig funktioniert, weil sich meine Mutter nie an die Abläufe gewöhnen konnte.

Im Pflegeheim war es zunächst so, dass sie kurze Strecken am Rollator laufen konnte. Bei größeren Strecken war dann der Rollstuhl das Fortbewegungsmittel, mit dem sie auch eine zeitlang ganz gut eigenständig fahren konnte - zumindest von ihrem Zimmer in das Restaurant im Untergeschoss des Heimes. Meine Mutter hatte einen kleinen Mini-Kühlschrank in ihrem Zimmer und einmal die Woche haben wir den nach einem Spaziergang im Spicher Wald und anschliessendem Einkauf beim Edeka befüllt, so dass meine Mutter zusätzlich zu den Mahlzeiten im Heim auch immer ihre eigenen Sachen hatte.

Am 30. Mai 2025, vier Tage nach einem Kontroll-Termin beim Kardiolgen in Siegburg, kam meine Mutter mit einer Lungenentzündung ins Krankenhaus. Diese Lungenentzündung war so schwerwiegend, dass ich in den ersten Tagen gedacht habe, dass es jetzt bereits zu Ende geht. Antibiotika und weitere Massnahmen haben jedoch geholfen, auch wenn der Alltag im Krankenhaus eine kaum zu beschreibende Katastrophe war. Ich wäre auf der Station des Krankenhaus beinahe Amok gelaufen, so katastrophal, so menschenunwürdig war die Behandlung dort. Ich werde sicherlich in einem separaten Bericht darauf noch einmal eingehen, weil genau das auch ein Thema war, dass schon beim Sterben meines Vaters eine große Rolle gespielt hatte.

Nach einer Woche kam sie zurück ins Pflegeheim und in den ersten Tagen schien es ihr deutlich besser zu gehen. Es war sogar noch einmal möglich, unsere Einkaufstour zu machen. Aber diese wenigen positiven Tage waren dann auch die letzten aktiven Tage. Meine Mutter konnte irgendwann nicht mehr aufrecht sitzen, ohne sofort Luftnot zu bekommen und war in den letzten beiden Monaten komplett bettlägerig.

An ihrem 89. Geburtstag, dem 14. Juli 2025 hatte sie dann noch einmal Besuch von ihrer Schwester Edda, meiner Patentante, die aus Neumünster angereist war. Nach ihrem Geburtstag ging es aber von Tag zu Tag immer weiter bergab. Grund dafür war das schwache Herz, bei dem schonmal die Herzklappen operiert worden waren und das durch die Lungenentzündung jetzt zusätzlich angegriffen war. Beim Kardiologen wurde mir auch eindeutig gesagt, dass hier keine Maßnahmen, keine OP mehr erfolgen würde. Und von den Medikamenten her war sie bereits bestmöglich eingestellt.


Besuch von der Schwester Edda am 89. Geburtstag - 14. Juli 2025

Am 15.08.2025, am frühen Nachmittag - ich kam gerade in ihr Zimmer rein - ist sie dann verstorben. Ihr Gesichtsausdruck zeigte ein friedliches Einschlafen, ohne Schmerzen.

In den nun folgenden Abschnitten gehe ich ein wenig auf die Biografie ein. Dabei kann ich nicht unerwähnt lassen, dass meine Mutter in mehrfacher Hinsicht kein einfacher Mensch war. Ich versuche diese Einschätzung möglichst abstrakt zu halten - Menschen, die sie gekannt haben, wissen eh um diese Schwierigkeit.

Ich möchte aber auch ganz besonders auf viele schöne Momente verweisen, gerade auch in den letzten Jahren. Ich war in den letzten fünf Jahren mit meiner Mutter immer viel unterwegs. Die wöchentlichen Spaziergänge, aber auch andere Ausflüge, waren immer Ereignisse, von denen sie dann tagelang gezehrt hat. Davon erzähle ich am Ende dieser Ausführungen, wo es auch fast 80 Scans von ihren Einträgen auf zwei Erinnerungsbüchern zu lesen gibt.

Kein einfacher Mensch


Dorothea Gerda Martha Lörzer, 1939

Meine Mutter war kein einfacher Mensch. Ich habe nie verstanden und nie ergründen können, woher diese Charakterzüge gekommen sein mögen. Eine Geronto-Psychologin hat mir mal erklärt, dass so ein Verhalten nicht angeboren sein kann. So ein Verhalten entsteht durch etwas, was irgendwann in ihrem Leben - in der Jugend oder der Kindheit - das Urvertrauen in Menschen zerstört hat. Aber ich weiß nicht, was dieser Auslöser gewesen sein könnte. Es gibt auch keine Hinweise auf so ein Ereignis, dass die Fachleute "Trauma" nennen.

Ich möchte gar nicht aufzählen, was alles die Folgen dieses Charakters für die Menschen um sie herum waren. Er reicht zu sagen, dass sie kein einfacher Mensch gewesen ist - alle, die sie erlebt haben, wissen, was ich meine.

Als Kind war sie von "der Flucht" geprägt - die Flucht ihrer Mutter mit sechs kleinen Kindern aus Ostpreussen, von denen eines auf der Flucht starb und nur wenige Monate alt wurde. Meine Mutter war damals acht Jahre alt, aber "die Flucht" wurde mir von meiner Mutter immer als das prägendste Ereignis ihres Lebens geschildert.

Damit verbunden der frühe Verlust des Vaters, der eine unglaublich wichtige Person für sie gewesen sein muß. Es gab kaum ein Gepräch, bei dem sie nicht von ihm sprach. Dann eine entbehrungsreiche Zeit nach dem Krieg, eine Art Dualismus mit der eigenen Mutter, die offensichtlich sehr mit dem Verlust des Partners zu kämpfen hatte und die als eigentlicher, liebevoller Ruhepol der Familie ausfiel. Dann eine Lehre als Bürokauffrau und Weihnachten 1955 trafen sich dann meine Eltern das erste Mal.


Eintrag aus einem Erinnerungsbuch

Dann wurde eine Entscheidung getroffen, die sowohl meine Mutter, als auch mein Vater im Nachhinein für grundlegend falsch gehalten haben: man zog von Lübeck ins Rheinland. Mein Vater fand hier in Troisdorf eine Arbeit bei der Dynamit Nobel und war damit in der Nähe seines Bruders Günther Killert (1924-1974) und Familie, dem die Gaststätte "Oberlarer Hof" und die Bahnhofsgaststätte am Bahnhof sowie "Das Kronprinz" in Troisdorf gehörten.


Meine Mutter (links) zusammen mit Hildegard und Günther Killert und meinem Vater, vemutl. Anfang/Mitte der 60erJahre im "Oberlarer Hof".
Ein Eintrag meiner Mutter aus einem Kalender von 1973, der diese ungesunde Alltäglichkeit illustriertEin Eintrag meiner Mutter aus einem Kalender von 1973, der diese ungesunde Alltäglichkeit illustriert Ein Porträt meiner Mutter aus dem Jahr 1955 als Geschenk für meinen VaterEin Porträt meiner Mutter aus dem Jahr 1955 als Geschenk für meinen Vater Die Rückseite des PorträtsDie Rückseite des Porträts

Diese Entscheidung war insofern falsch, weil sie zu alltäglichen Lebensumständen geführt hat, bei denen vor allem auch der Alkohol eine wichtige Rolle gespielt hat. "Onkel Günther", den ich nie kennengerlernt habe - er starb einen Monat vor meiner Geburt an einer Leberzirrhose - und "Tante Hilde" waren also die nächste Verwandtschaft hier vor Ort.

Ich kann mich als Kind sehr gut an diese "Familientreffen" bei "Tante Hilde" erinnern, die nachmittags gesittet bei Kaffee und Kuchen begannen und abends immer bei viel Alkohol in allen Varianten immer und ohne Ausnahme lautstark in Streitereien endeten. Als Kind habe ich nie verstanden, was der Gegenstand dieser Streitigkeiten gewesen war.

Ein möglicher Schock für meine Mutter waren möglicherweise die Lebensumstände am Anfang des neuen Lebens in Troisdorf. Man lebte zunächst in einer heruntergekommenen Unterkunft im Ravensberger Weg, ohne richtige Heizung, Gemeinschaftstoiletten - einfach kein richtiges Zuhause für eine junge Familie.

Dann bezog man eine Genossenschaftswohnung in Oberlar und lebte dort über 50 Jahre. Diese Entscheidung für eine Genossenschaftswohnung war damals - als die Wohnungen noch neu waren und den Arbeitern und den Familien der wachsenden Industriestadt Troisdorf als Lebensmittelpunkt dienten - gut nachvollziehbar. Man muss allerdings dazu wissen, dass diese Siedlungen erst in den letzten Jahren vernünftig modernisiert wurden. Und erst Anfang der 90er Jahre wurde der Kohleofen durch eine moderne Heizung ersetzt. So hatte dieses Leben am Rande einer "Ghettoisierung" immer einen leicht asozialen Touch, auch wenn ich das als Kind gar nicht so empfunden habe und dieser Eindruck den Menschen, die dort leben und lebten, nicht gerecht wird.

Diese vielen Jahrzehnte in Oberlar waren der Lebensmittelpunkt meiner Mutter, die aber selten die Wohnung verließ und sich eine soziale Unsicherheit aneignete, die ihre Kontakte auf die Familie und die unmittelbare Nachbarschaft beschränkte. Das hat sich erst später etwas gebessert, als meine Eltern auch beim "Sparkästchen" in der Gaststätte in Oberlar aktiv wurden und einen anderen Freundeskreis hatten.

Im Jahr 2010 haben wir unsere Eltern überreden können, von Oberlar nach Spich umzuziehen. Da in Oberlar nahezu alle Einkaufsmöglichkeiten geschlossen hatten und Geschäfte des täglichen Bedarfs nicht mehr vorhanden waren, war in Spich die neue Wohnung im Zentrum des örtlichen Alltags. Der Edeka direkt vor der Tür und die Arztpraxis direkt um die Ecke.

Fotos von Dorothea Killert

Lübeck-Eichholz, 12.10.1951Lübeck-Eichholz, 12.10.1951 ca. 1951/52ca. 1951/52 ca. 1951/52ca. 1951/52 1956 in Lübeck1956 in Lübeck Sommer 1957 in TravemündeSommer 1957 in Travemümde
ca. Ende der 1940er Jahreca. Ende der 1940er Jahre ca. Ende der 1940er Jahreca. Ende der 1940er Jahre
Anfang/Mitte der 50er JahreAnfang/Mitte der 50er Jahre Sommer 1956 in TroisdorfSommer 1956 in Troisdorf Anfang/Mitte der 50er JahreAnfang/Mitte der 50er Jahre Pfingsten 1957 in LübeckPfingsten 1957 in Lübeck Sommer 1957 in TravemündeSommer 1957 in Travemünde
Sommer 1957 in TravemündeSommer 1957 in Travemünde Sommer 1957 in TravemündeSommer 1957 in Travemünde ca. 1956ca. 1956

Die schönen Erinnerungen

Als ich Kind war, und immer wenn mir langweilig war, dann konnte ich in die Küche zu meiner Mutter gehen und sie hat alle Gesellschaftspiele mit mir gespielt. Monopoly, Quartett, Uno, MauMau, Schiffe versenken - sie hatte immer Lust auf diese Spiele und war immer neugierig. Das war dann auch so beim Handrommé und später auch am Tablet-Computer so. Mit Spielen konnte man sie immer begeistern.

Und es gab weitere schöne Momente ...
Im Pflegeheim und bei unserer wöchentlichen Tour durch den Spicher Wald, vorbei an der Burg, am Hühnergehege und am Ententeich: Die Freude, wenn es beim abschliessenden Einkauf im Edeka eine große Haribo-Dose im Angebot gab und sie die auf dem Schoss im Rollstuhl wie einen Schatz in ihr Zimmer mitnahm. Wenn wir Ende November kurz mit dem Rollstuhl rausgefahren sind, vor das Pflegeheim, an der Straße und auf ihr Fenster schauten, wenn es dunkel war, um den neu aufgehängten Weihnachtsstern an ihrem Fenster zu begutachten. "Keiner hat einen so schönen Weihnachtsstern wie ich ..."

Geburtstag 2023 - Der große Erbeerbecher war ein traditionelles RitualGeburtstag 2023 - Der große Erdbeer-Eisbecher war ein traditionelles Ritual Foto aus 2019 - da habe ich sie zum EInkaufen immer nur begleitetFoto aus 2019 - da habe ich sie zum EInkaufen immer nur begleitet Am Fenster ihres Zimmers im Pflegeheim - wenige Tage später bekam sie eine Lungenentzündung, von der sie sich nicht mehr richtig erholt hatAm Fenster ihres Zimmers im Pflegeheim - wenige Tage später bekam sie eine Lungenentzündung, von der sie sich nicht mehr richtig erholt hat

Bei jedem Einkauf an der Kasse: "Na was schätzt Du?" - Und wenn der Betrag am Ende viel höher war, als erwartet, dann wurde genau auf den Kassenbon geschaut. "Was? Die Trinker (so hat sie immer die Tetra-Paks mit Grapefruitsaft genannt) mit dem Saft sind so teuer? Die kaufen wir nicht mehr ..."

Typischer Einkaufszettel für unsere wöchentliche TourTypischer Einkaufszettel für unsere wöchentliche Tour Typischer Einkaufszettel für unsere wöchentliche TourTypischer Einkaufszettel für unsere wöchentliche Tour Kassenbon vom letzten gemeinsamen Ausflug/Einkauf am 16.06.2025Kassenbon vom letzten gemeinsamen Ausflug/Einkauf am 16.06.2025

Wenn ich sie ein oder zweimal im Jahr zu mir nach Hause gebracht habe und ich ein Essen wie früher "gezaubert" habe. Rinderrouladen (natürlich fertige aus den Konserve), Bratkartoffeln und mit Apfelmuss gepimpten Rotkohl - sie hat einen richtig großen Teller aufgegessen und es hat ihr richtig geschmeckt. Das Essen im Pflegeheim war niemals so, dass sie es gelobt hätte.

Weihnachten 2024 bei mir zu Hause - ein Festmahl :-) - 26. Dezember 2024

Wenn ich sie auf unseren Touren zu Ärzten mit der Bahn oder dem Bus beobachtet habe und sie unterwegs jeden Moment der Vorbeifahrt aufgesogen und alte Orte wiedererkannt hat. Die Einkäufe mal in ganz anderen Geschäften, die sie gar nicht kannte. Die Freude, wenn Dinge, die ihr den Schlaf geraubt haben, funktioniert haben - wie zum Beispiel die Impfaktionen in der Corona-Zeit oder die vereinfachte Fernbedienung für den Fernseher oder das einfache Klapphandy.

Auf der Heimfahrt nach der ersten Corona-Impfung am 03. März 2021

Sie war ein schwieriger Mensch, bei keinem anderen bin ich so oft sehr laut geworden. Mit keinem Menschen habe ich bisher so intensive, lautstarke Konflikte erleben müssen - aber diese Auseinandersetzungen waren der einzige Weg, um auch an diese schönen Momente zu kommen.

Und wenn ich die letzten Wochen Revue passieren lasse, meine Mutter in ihrem Bett liegen sehe, ohne Zähne und ein klein wenig ratlos und hilflos, dann fällt mir auf, dass ihr Gesichtsausdruck mit 89 Jahren der gleiche war, wie der des kleinen Mädchens auf dem Bild ganz oben.

Diese biografischen Notizen werde ich in den kommenden Tagen und Wochen noch weiter ergänzen ... .

Ausschnitte aus den Erinnerungsbüchern

Irgendwann mal zu Weihnachten hat meine Mutter unabhängig voneinander zwei Erinnerungsbücher zum ausfüllen geschenkt bekommen. "Erzähl mal Mama" und "Erzähl mal Oma". Bei der Wohnungsauflösung 2019 habe ich diese Bücher gefunden und mit Freude festgestellt, dass meine Mutter diese Bücher recht ausführlich ausgefüllt hat. So ergibt sich ein schönes, interessantes Sammelsurium aus kleinen Erinnerungsstücken meiner Mutter.

Aus dem Buch "Erzähl mal Mama"

Diese Buch hat meine Mutter sehr ausführlich ausgefüllt - auch wenn sie einige Passagen übersprungen hat. Meine Mutter hatte angemerkt, dass sie die Einträge im Oktober/November 2014 gemacht hat.

Zu Handhabung: Wenn Sie eines der Bilder mit einem Mausklick öffnen, dann können Sie mit den Pfeiltasten links-rechts zwischen den Bildern wechseln.

Aus dem Buch "Erzähl mal Oma"

In diesem Buch gibt es sehr viel weniger ausgefüllte Passagen. Das dürfte vor allen Dingen auch daran liegen, dass sich die Fragen dieses Erinnerungsbuches mit dem ersten sehr oft überschneiden und sich meine Mutter hier wiederholt.